Donnerstag, 20. Dezember 2018
erias, 12:16h
Man sieht ihm nicht an, dass sein Leben vorbei ist. Er liegt da, das Gesicht rosig. Mit jedem Atemzug hebt und senkt sich sein Brustkorb. Dieser Umstand allerdings ist der Tatsache geschuldet, dass die Beatmungsmaschine neben seinem Bett unermüdlich Luft in seine Lungen pumpt. Auf dem Monitor über seinem Kopf flimmert die grüne Linie seines EKGs, ein regelmäßiger Sinusrhythmus. Ein paar Zahlen daneben -Blutdruck, Sauerstoffsättigung, Herzfrequenz- alles im Normalbereich.
Alt ist er nicht geworden. Lediglich 52, als eine Hirnblutung aus einem Aneurysma, einer krankhaften Aussackung einer Hirnarterie, seinem Leben ein rasches Ende bereitete. Zwar konnte das Aneurysma noch mittels Kathetertechnik ausgeschaltet werden, die Schädigung des Gehirns aber war durch den erhöhten Druck im Schädel trotz einseitiger Entfernung der Schädeldecke zu groß gewesen. Lebenswichtige Areale des Gehirns sind abgestorben, haben ein Überleben nicht zugelassen.
Bereits vor zwei Tagen war die Narkose beendet worden. Seitdem war der Patient nicht wieder erwacht.
Ich öffne die Augenlider des Patienten und beobachte seine Pupillen: Bewegungslos, weit und entrundet starren sie an die Decke. Auch der Lichtstrahl meiner Untersuchungsleuchte lässt die Pupillen nicht kontrahieren. Die Bindehäute lassen die Augen bereits leicht milchig und trüb erscheinen. Ich prüfe weitere Hirnstammreflexe, sie bleiben allesamt erloschen. Ein späterer Test, bei dem geprüft wird, ob der Patient noch selbstständig atmet, wenn das Kohlenstoffdioxid hoch genug angestiegen ist, wird ebenfalls den Hirntod bestätigen.
Ich tausche mich mit meinem Kollegen aus, der ebenfalls und unabhängig die geforderten Untersuchungen zur Diagnose des Hirntodes vornimmt und kommt letztendlich zum gleichen Ergebnis. Die Bundesärztekammer gibt strikte Regeln vor, die es zu beachten gilt. Letzte Sicherheit und Nachweis der Irreversibilität des Hirntodes schließlich erbringt eine kontrastmittelgestützte Computertomographie der Hirnarterien: Das Gehirn des Patienten wird nicht mehr durchblutet. Von jetzt an ist der Patient offiziell tot.
Ich spreche mit den Angehörigen: Frau und Kinder, zwei Söhne im Alter von 18 und 22, blicken mich traurig und verzweifelt an, als ich ihnen berichte, dass der Patient verstorben ist. Zugleich ungläubige Blicke. Er lebt doch noch, scheinen die Augen der Ehefrau zu fragen. Die rosige Haut, der Herzschlag, die Atmung. Als würde ihr Ehemann lediglich schlafen. Nein, er ist tot, erkläre ich ihr. Lediglich die Beatmungsmaschine erhält den Körper, die Organe noch am Leben. Das Gehirn hingegen, Ort des Bewusstseins und der Persönlichkeit, ist tot.
Ich spreche behutsam die Möglichkeit der Organspende an. Manche Menschen haben sich zu Lebzeiten mit dieser Thematik auseinandergesetzt, tragen womöglich sogar einen Organspenderausweis mit sich. Die Möglichkeit, nach dem eigenen Tod Organe zu spenden, empfinden viele Angehörige als Trost. So lebe der geliebte Verstorbene noch ein Stück weit weiter, wenn auch in einem anderen Mensch. Oft wird der vielfach sinnlose frühe Tod eines Menschen sinnvoller erlebt, wenn mit den gespendeten Organen das Leben anderer Menschen erhalten oder gerettet werden kann.
Die Familie berät sich, dann willigt die Frau ein. Ihr Ehemann habe sich oft für eine Weitergabe seiner Organe nach seinem Tod ausgesprochen, berichtet sie. Eine Zeitlang bleibt die Familie noch bei dem Verstorbenen, verabschiedet sich. Sie wollen nicht dabei sein, wenn er abgeholt wird. Ich lasse den Dreien die ihnen noch benötigte Zeit und verlasse den Raum.
Zwischenzeitlich hat mein Kollege einen Mitarbeiter der Deutschen Stiftung Organspende, kurz DSO, kontaktiert und diesem den Fall kurz geschildert. Die DSO ist mit der Organisation der Organspende und Organexplantationen betraut. Der Mitarbeiter kündigt seinen Besuch in den nächsten Stunden an.
Als dieser eintrifft, sichtet er die ausgefüllten Unterlagen und begutachtet unsere Untersuchungsergebnisse. Manchmal, wenn die Verstorbenen an relevanten Vorerkrankungen gelitten haben, sind weitere Untersuchungen notwendig. In diesem Fall besteht keine Notwendigkeit. Der Mann war bislang gesund gewesen, hat nicht geraucht und weder Alkohol, noch Drogen konsumiert.
Dann geht alles recht schnell. Der Mitarbeiter von der DSO führt einige Gespräche, entnimmt dem Verstorbenen noch einmal Blut. Parallel informiere ich die Kollegen der Anästhesie sowie den OP-Manager. Die Explantation ist bereits für den heutigen Abend geplant. Die hierzu notwendigen Transplantationschirurgen aus den Transplantationszentren Deutschlands werden informiert und teilweise sogar mit dem Hubschrauber eingeflogen. Am späteren Abend wird der Verstorbene schließlich abgeholt. Der Ablauf unterscheidet sich nicht von dem eines lebenden Patienten, der zum OP gebracht wird. Die Narkoseeinleitung erübrigt sich: Ein totes Gehirn empfindet keine Schmerzen mehr. Der Mensch in dem von der Beatmungsmaschine am Leben erhaltenen Körper ist tot.
Ortwechsel. OP-Saal. Das erste Transplantationsteam ist eingetroffen. Schnitt. Der Körper des Verstorbenen reagiert mit Blutdruckerhöhung und beschleunigtem Herzschlag. Entgegen der Vorstellung, der Verstorbene könne noch Schmerzen empfinden, ist dieses Phänomen einfach zu erklären: Das Rückenmark des Verstorbenen ist noch funktionsfähig und hierüber verschalten die Schmerzfasern zu den sogenannten vegetativen Nerven, welche Herz und Blutdruck beeinflussen.
Zunächst werden die Nieren sowie die Leber entnommen. Der Chirurg begutachtet die Organe, befindet diese für transplantationsgeeignet und lässt die Organe aufbereiten. Anschließend verschwinden sie gekühlt in Spezialbehältnissen. Das nächste Team ist bereits eingetroffen, um das Herz sowie die Lungen zu entnehmen. Geschäftiges Treiben im Hintergrund. Das erste Team hat sich bereits auf den Weg gemacht, als der Herzmuskel von den großen Arterien und Venen abgetrennt wird. Zuvor ist dieser mit Hilfe einer speziellen eiskalten Elektrolytlösung, die sogenannte kardioplege Lösung, gespült und zum zum Stillstand gebracht worden. Ohne Blut wirkt das Herz wie ein heller grauer Klumpen Fleisch.
Es folgt die Explantation der Lungen, welche nach Wegfall der Sogwirkung durch den Brustkorb rasch in sich zusammenfallen. Auch Herz und Lungen werden aufgearbeitet und für die Reise sorgsam verpackt. Zügig macht sich auch das zweite Transplantationsteam auf den Weg. Längst ist der Monitor, der die Herz- und Kreislauffunktion des Verstorbenen überwachte, ausgeschaltet. Zurück bleibt ein ausgehöhlter Corpus. Tot, leblos, die Körperhöhlen weit geöffnet und ausgeweidet.
Ein Chirurg kommt schließlich vorbei, verschließt die Körperhöhlen wieder. Am Ende erinnern nur die vernähten Schnitte daran, dass dem Verstorbenen die Organe entnommen worden sind. Von einem Tuch bedeckt wird die Leiche nun in eine Kühlkammer der Pathologie gebracht. Ein Bestatter wird den Verstorbenen am nächsten Tag abholen.
Eine 55-jährige Patientin mit schwerer Lungenfibrose konnte Dank ihrer neuen Lungen ein neues Leben beginnen.
Die rechte Niere erhielt ein junger 25-jähriger Mann, der wegen einer autoimmunologischen Nierenerkrankung seit drei Jahren dreimal wöchentlich zur Dialyse musste. Die linke Niere wurde einer 50-jährigen Frau mit langjähriger diabetischer Nierenerkrankung und Dialysepflichtigkeit seit mehr als 5 Jahren implantiert. Teile der Leber retteten das Leben eines 17-Jährigen, der an einer autoimmunologischen Lebererkrankung litt und auch das Herz fand seinen neuen Besitzer: Eine 60-jährige Patientin mit schwerer Kardiomyopathie und Bettlägrigkeit nach Infektion des Herzmuskels mit einem Virus.
Alt ist er nicht geworden. Lediglich 52, als eine Hirnblutung aus einem Aneurysma, einer krankhaften Aussackung einer Hirnarterie, seinem Leben ein rasches Ende bereitete. Zwar konnte das Aneurysma noch mittels Kathetertechnik ausgeschaltet werden, die Schädigung des Gehirns aber war durch den erhöhten Druck im Schädel trotz einseitiger Entfernung der Schädeldecke zu groß gewesen. Lebenswichtige Areale des Gehirns sind abgestorben, haben ein Überleben nicht zugelassen.
Bereits vor zwei Tagen war die Narkose beendet worden. Seitdem war der Patient nicht wieder erwacht.
Ich öffne die Augenlider des Patienten und beobachte seine Pupillen: Bewegungslos, weit und entrundet starren sie an die Decke. Auch der Lichtstrahl meiner Untersuchungsleuchte lässt die Pupillen nicht kontrahieren. Die Bindehäute lassen die Augen bereits leicht milchig und trüb erscheinen. Ich prüfe weitere Hirnstammreflexe, sie bleiben allesamt erloschen. Ein späterer Test, bei dem geprüft wird, ob der Patient noch selbstständig atmet, wenn das Kohlenstoffdioxid hoch genug angestiegen ist, wird ebenfalls den Hirntod bestätigen.
Ich tausche mich mit meinem Kollegen aus, der ebenfalls und unabhängig die geforderten Untersuchungen zur Diagnose des Hirntodes vornimmt und kommt letztendlich zum gleichen Ergebnis. Die Bundesärztekammer gibt strikte Regeln vor, die es zu beachten gilt. Letzte Sicherheit und Nachweis der Irreversibilität des Hirntodes schließlich erbringt eine kontrastmittelgestützte Computertomographie der Hirnarterien: Das Gehirn des Patienten wird nicht mehr durchblutet. Von jetzt an ist der Patient offiziell tot.
Ich spreche mit den Angehörigen: Frau und Kinder, zwei Söhne im Alter von 18 und 22, blicken mich traurig und verzweifelt an, als ich ihnen berichte, dass der Patient verstorben ist. Zugleich ungläubige Blicke. Er lebt doch noch, scheinen die Augen der Ehefrau zu fragen. Die rosige Haut, der Herzschlag, die Atmung. Als würde ihr Ehemann lediglich schlafen. Nein, er ist tot, erkläre ich ihr. Lediglich die Beatmungsmaschine erhält den Körper, die Organe noch am Leben. Das Gehirn hingegen, Ort des Bewusstseins und der Persönlichkeit, ist tot.
Ich spreche behutsam die Möglichkeit der Organspende an. Manche Menschen haben sich zu Lebzeiten mit dieser Thematik auseinandergesetzt, tragen womöglich sogar einen Organspenderausweis mit sich. Die Möglichkeit, nach dem eigenen Tod Organe zu spenden, empfinden viele Angehörige als Trost. So lebe der geliebte Verstorbene noch ein Stück weit weiter, wenn auch in einem anderen Mensch. Oft wird der vielfach sinnlose frühe Tod eines Menschen sinnvoller erlebt, wenn mit den gespendeten Organen das Leben anderer Menschen erhalten oder gerettet werden kann.
Die Familie berät sich, dann willigt die Frau ein. Ihr Ehemann habe sich oft für eine Weitergabe seiner Organe nach seinem Tod ausgesprochen, berichtet sie. Eine Zeitlang bleibt die Familie noch bei dem Verstorbenen, verabschiedet sich. Sie wollen nicht dabei sein, wenn er abgeholt wird. Ich lasse den Dreien die ihnen noch benötigte Zeit und verlasse den Raum.
Zwischenzeitlich hat mein Kollege einen Mitarbeiter der Deutschen Stiftung Organspende, kurz DSO, kontaktiert und diesem den Fall kurz geschildert. Die DSO ist mit der Organisation der Organspende und Organexplantationen betraut. Der Mitarbeiter kündigt seinen Besuch in den nächsten Stunden an.
Als dieser eintrifft, sichtet er die ausgefüllten Unterlagen und begutachtet unsere Untersuchungsergebnisse. Manchmal, wenn die Verstorbenen an relevanten Vorerkrankungen gelitten haben, sind weitere Untersuchungen notwendig. In diesem Fall besteht keine Notwendigkeit. Der Mann war bislang gesund gewesen, hat nicht geraucht und weder Alkohol, noch Drogen konsumiert.
Dann geht alles recht schnell. Der Mitarbeiter von der DSO führt einige Gespräche, entnimmt dem Verstorbenen noch einmal Blut. Parallel informiere ich die Kollegen der Anästhesie sowie den OP-Manager. Die Explantation ist bereits für den heutigen Abend geplant. Die hierzu notwendigen Transplantationschirurgen aus den Transplantationszentren Deutschlands werden informiert und teilweise sogar mit dem Hubschrauber eingeflogen. Am späteren Abend wird der Verstorbene schließlich abgeholt. Der Ablauf unterscheidet sich nicht von dem eines lebenden Patienten, der zum OP gebracht wird. Die Narkoseeinleitung erübrigt sich: Ein totes Gehirn empfindet keine Schmerzen mehr. Der Mensch in dem von der Beatmungsmaschine am Leben erhaltenen Körper ist tot.
Ortwechsel. OP-Saal. Das erste Transplantationsteam ist eingetroffen. Schnitt. Der Körper des Verstorbenen reagiert mit Blutdruckerhöhung und beschleunigtem Herzschlag. Entgegen der Vorstellung, der Verstorbene könne noch Schmerzen empfinden, ist dieses Phänomen einfach zu erklären: Das Rückenmark des Verstorbenen ist noch funktionsfähig und hierüber verschalten die Schmerzfasern zu den sogenannten vegetativen Nerven, welche Herz und Blutdruck beeinflussen.
Zunächst werden die Nieren sowie die Leber entnommen. Der Chirurg begutachtet die Organe, befindet diese für transplantationsgeeignet und lässt die Organe aufbereiten. Anschließend verschwinden sie gekühlt in Spezialbehältnissen. Das nächste Team ist bereits eingetroffen, um das Herz sowie die Lungen zu entnehmen. Geschäftiges Treiben im Hintergrund. Das erste Team hat sich bereits auf den Weg gemacht, als der Herzmuskel von den großen Arterien und Venen abgetrennt wird. Zuvor ist dieser mit Hilfe einer speziellen eiskalten Elektrolytlösung, die sogenannte kardioplege Lösung, gespült und zum zum Stillstand gebracht worden. Ohne Blut wirkt das Herz wie ein heller grauer Klumpen Fleisch.
Es folgt die Explantation der Lungen, welche nach Wegfall der Sogwirkung durch den Brustkorb rasch in sich zusammenfallen. Auch Herz und Lungen werden aufgearbeitet und für die Reise sorgsam verpackt. Zügig macht sich auch das zweite Transplantationsteam auf den Weg. Längst ist der Monitor, der die Herz- und Kreislauffunktion des Verstorbenen überwachte, ausgeschaltet. Zurück bleibt ein ausgehöhlter Corpus. Tot, leblos, die Körperhöhlen weit geöffnet und ausgeweidet.
Ein Chirurg kommt schließlich vorbei, verschließt die Körperhöhlen wieder. Am Ende erinnern nur die vernähten Schnitte daran, dass dem Verstorbenen die Organe entnommen worden sind. Von einem Tuch bedeckt wird die Leiche nun in eine Kühlkammer der Pathologie gebracht. Ein Bestatter wird den Verstorbenen am nächsten Tag abholen.
Eine 55-jährige Patientin mit schwerer Lungenfibrose konnte Dank ihrer neuen Lungen ein neues Leben beginnen.
Die rechte Niere erhielt ein junger 25-jähriger Mann, der wegen einer autoimmunologischen Nierenerkrankung seit drei Jahren dreimal wöchentlich zur Dialyse musste. Die linke Niere wurde einer 50-jährigen Frau mit langjähriger diabetischer Nierenerkrankung und Dialysepflichtigkeit seit mehr als 5 Jahren implantiert. Teile der Leber retteten das Leben eines 17-Jährigen, der an einer autoimmunologischen Lebererkrankung litt und auch das Herz fand seinen neuen Besitzer: Eine 60-jährige Patientin mit schwerer Kardiomyopathie und Bettlägrigkeit nach Infektion des Herzmuskels mit einem Virus.
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